Eine neue Gesprächskultur

Vielleicht kennen Sie das: Sie erhalten die Einladung zu einem Meeting – schön geplant mit akkurater Agenda. Sie sehen den einen oder anderen Punkt, von dem sie wissen: Es wird kontrovers, vielleicht sogar emotional. Und es kommt wie es kommen muss: Kaum ist der Opener zum ersten kritischen Thema gelaufen, wird aus der so sorgsam strukturierten Veranstaltung das Chaos. Menschen reden durcheinander, Lautstärke- und Stresspegel steigen. Jeder meint, seine Meinung los werden zu müssen. Und das möglichst sofort, damit der Standpunkt unbedingt noch berücksichtigt werden kann. Den rhetorisch versierten Personen gelingt das meist, die eher introvertierten bleiben auf der Strecke. Entschieden wird nicht selten nach Maßgabe der stimmlichen Kompetenz und nicht der fachlichen – oder gar nicht. Jeder ist froh, als das Meeting zu Ende ist – und oft keiner wirklich happy.

Geht das nicht besser?

Es geht. Und das Rezept ist nahezu unglaublich einfach. Es heißt Redestab, auf Englisch Talking Stick.

Ein uraltes Konzept, heute noch in Gebrauch bei indigenen Kulturen naturverbundener Stämme. Die Regeln sind super-einfach:

Ein Redestab ist ein Gegenstand, der jeweils von einem Teilnehmer des Meetings gehalten wird. Der Redestab kann ein kunstvoll verzierter Holzstab sein, ein Ball, zur Not ein (ausgeschaltetes!) Handy, ein Stift oder was auch immer verfügbar ist.

Der Redestab geht reihum. Wer ihn hat, redet. Die anderen schweigen – bis der Redestab bei ihnen angelangt ist.

Ist das nicht entsetzlich langweilig? Verglichen zum volldynamischen Screwball-Meeting: Ja. Dafür deutlich weniger chaotisch, stressig und beängstigend.

Dauert das nicht entsetzlich lange? Überraschenderweise: Nein.

Wie kommt das?

Bei regulären Meetings will jeder zu Wort kommen. Die Zeit ist begrenzt. Jeder ist erpicht auf die Gelegenheit, endlich etwas sagen zu können. Die Teilnehmer achten weniger darauf, was gesagt wird, sondern vielmehr wann der Sprechende endlich eine Pause lässt – um dann sofort mit dem eigenen Beitrag reingrätschen zu können. Der Fokus ist auf das Sprechen ausgerichtet, nicht auf das Zuhören.

Das ist beim Redestab völlig anders. Die Regel ist klar. Wer den Stab hat, redet. Und wird nicht unterbrochen. Jeder kann entspannen, bis er an der Reihe ist – und zuhören. Und in Ruhe darüber nachdenken, was gesagt wurde.

Wer am Lautesten brüllt, wird am Ehesten gehört.

Nicht so beim Redestab-Prinzip. Auch Menschen, die sich in heftigen Unterhaltungen lieber zurückhalten oder sich lieber leise artikulieren, kommen hier zu Wort. Und ganz erstaunlich: Die Introvertierten haben mitunter Ideen, die die Rhetoriker ziemlich alt aussehen lassen – und um die es sehr schade wäre, wenn sie nicht geäußert werden würden.

Aussagen bewirken Reaktionen – fachliche oder emotionale. Und die wollen mitgeteilt werden – möglichst sofort. Das gilt auch für Reaktionen, die nicht wirklich wichtig oder förderlich sind für das Thema. Es wird einfach alles sofort in die Runde gegeben – und verursacht neue Reaktionen, die oft genug das ganze Meeting in nebensächliche Diskussionen abkippen lassen.

Auch hier sorgt der Redestab für eine unerwartete Selbstreinigung. Bei einer Runde von mehreren Personen dauert es einfach eine Weile, bis der Redestab schließlich bei einem Mitglied der Runde angekommen ist. Bis dahin hat der Sprecher alles, was nicht wirklich wichtig und eindringlich ist, schlichtweg wieder vergessen.

Und wie verhindere ich, dass ich angeschaut werde als wäre ich nicht mehr ganz dicht, wenn ich mit dem handgeschnitzten, federgeschmückten indianischen Redestab im Konferenzraum auftauche?

Nun, vielleicht braucht es ja genau dieses Signal, diesen Aufwecker, um klar zu machen, dass die Dinge hier etwas anders laufen. Und ein Stab, den man gerne in die Hand nimmt, kann schon eine gesunde, erdige Energie in die Runde bringen und selbst Hardcore Tekkies ans Herz wachsen. Vielleicht ist es aber auch angemessener, den grünen Edding zum Redestab zu deklarieren. Wählen Sie einfach etwas, das für Sie stimmig und authentisch ist.

Simples Konzept, super-einfach einzuführen, Mega-Impact.

Viel Spaß beim Ausprobieren!

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